Immer mehr Kinder bekommen Diagnosen wie Legasthenie, Dyskalkulie oder ADHS. Bis zum Zeitpunkt der Diagnose haben diese Kinder und ihre Eltern oft schon einen langen Leidensweg hinter sich. Denn die Auffälligkeiten in Kindergarten oder Schule – sei es unangemessenes Verhalten oder schlechte Schulleistungen – führen häufig zu Stress und Belastung in der Familie. Kinder werden dann besonders geschulten Pädagog:innen und Therapeut:innen vorgestellt, um ihnen zu helfen, besser zu lernen, ihre Emotionen zu regulieren oder konzentrierter zu sein.
Doch dieser Prozess hat auch seine Schattenseiten.
Viele dieser therapiemüden Kinder fanden in den letzten Jahren ihren Weg zu mir in die Reittherapie. Dort erlebte ich, welche tiefen Spuren die ständige Förderung bei ihnen hinterließ. Oft spüren die Kinder unbewusst:
„Ich bin nicht gut genug.“
„Ich passe nicht.“
„Ich kann das nicht.“
Mit der Diagnose haben die betroffenen Familien nun schwarz auf weiß, dass sie die schulischen Anforderungen nicht ohne Weiteres erfüllen können.
Auf der einen Seite kann dies eine enorme Erleichterung für die gesamte Familie sein. Bei einer Diagnose wie Dyskalkulie müssen Kinder zum Beispiel andere oder weniger schulische Leistungen erbringen, und bei ADHS erhalten sie oft zusätzliche Unterstützung in der Schule. Doch auf der anderen Seite kann eine Diagnose auch das Gefühl verstärken, dass das Kind "nicht richtig" sei.
Besonders häufig wird eine Diagnose wie Dyskalkulie gestellt, weil das Kind bei seinen mathematischen Leistungen im Vergleich zu seinen Mitschüler:innen weit zurückliegt. Doch oft liegt das Problem nicht am Kind, sondern im schulischen Ansatz. Für viele Kinder ist der herkömmliche Weg des Rechnens einfach nicht der richtige.
Jedes Kind lernt anders – individuelle Lernwege sind entscheidend
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jedes Kind auf dieselbe Art lernt. Die schulischen Anforderungen folgen oft einem starren System, das davon ausgeht, dass alle Kinder in einem bestimmten Tempo und auf eine bestimmte Art Lerninhalte verarbeiten. Doch das ist in der Realität nicht der Fall. Einige Kinder lernen über das Hören, andere brauchen visuelle Hilfsmittel, wieder andere lernen durch Bewegung oder praktisches Tun. Gerade Kinder mit "Dyskalkulie" können sehr oft wunderbar über Bilder lernen!
Diese Vielfalt an Lernwegen bedeutet, dass ein "Mehr an Übung" nicht immer die Lösung ist. Es geht nicht darum, das Kind in ein System zu pressen, das für es nicht passt, sondern einen Weg zu finden, der seinen individuellen Bedürfnissen entspricht.
Wenn du als Elternteil bemerkst, dass der schulische Weg für dein Kind nicht funktioniert – dass dein Kind trotz ganz viel Üben nicht vorankommt oder sich mehr und mehr zurückzieht – solltest du hellhörig werden. Hier ist es wichtig Unterstützung zu suchen. Doch anstelle von zusätzlicher Nachhilfe, weiteren Übungszetteln oder Lernstunden, die oft nur das wiederholen, was in der Schule ohnehin schon nicht funktioniert, ist ein ganzheitlicher Ansatz entscheidend. Pädagog:innen, die das Kind als Ganzes sehen, können andere Wege einschlagen, die nicht auf bloßes Üben setzen, sondern auf alternative Lernmethoden, die besser zum Kind passen.
Ganzheitliche Unterstützung statt bloßer Nachhilfe
Ganzheitliche Lernansätze gehen davon aus, dass das Kind nicht nur mit dem Verstand lernt, sondern dass der Körper, die Emotionen und das Umfeld gleichermaßen eine Rolle spielen. Es wird geschaut, wie das Kind am besten lernt, was seine Interessen sind und wie man diese in den Lernprozess integrieren kann. In der Lernbegleitung, die ich anbiete, lernen Kinder zum Beispiel mit Bewegung, mit dem Kontakt mit Tier und durch das Erleben von Selbstwirksamkeit. Sie erfahren, dass sie durch andere Wege erfolgreich sein können und dass Lernen auch Spaß machen darf.
Eltern sollten darauf achten, dass der Fokus nicht auf den Defiziten des Kindes liegt, sondern auf dessen Stärken. Ein:e ganzheitlicher Lerntrainer:in oder -therapeut:in kann dabei helfen, das Potenzial des Kindes zu entdecken und Lernmethoden zu finden, die diesem Potenzial entsprechen. Oft kann es zum Beispiel helfen, praktische Aufgaben zu stellen, die mit den Interessen des Kindes verknüpft sind, oder Bewegungsabläufe in den Lernprozess zu integrieren, um die Konzentration und Aufmerksamkeit zu fördern.
Oft macht es auch Sinn, dass Eltern selbst das Ruder in die Hand nehmen und selbst lernen, wie sie ihr Kind beim Lernen unterstützen können, anstatt ihr Kind bei "Spezialist:innen" ein Mal in der Woche abzugeben zum wöchentlichen Training.
Wenn du ein Elternteil bist, der gerne selbst Verantwortung für sein Kind übernehmen möchte, dann kannst du dir viele Anregungen in meinem Lernhilfe Journal LOL holen. Dieses ist verbunden mit einem kostenfreien "Onlernkurs 😉"
Besonders häufig wird eine Diagnose wie Dyskalkulie gestellt, weil das Kind im Vergleich zu seinen Mitschüler:innen weit hinter dem Wissensstand zurückliegt. Doch oft liegt das Problem nicht am Kind, sondern im schulischen Ansatz. Für viele Kinder ist der herkömmliche Weg des Rechnens einfach nicht der richtige.
Lernen und Bewegung
Oft stelle ich fest, dass die Motorik der mir vorgestellten Kinder auffällig ist. Häufig funken nämlich diesen Kindern noch frühkindliche Reflexe (unwillkürliche Bewegungsmuster) in ihre willkürlichen Bewegungen. Diese Reflexe, wie der Moro-Reflex oder der Asymmetrisch-tonische Nackenreflex, bleiben manchmal über das Kleinkindalter hinaus aktiv. Sie können die motorische Entwicklung beeinträchtigen und dazu führen, dass die Kinder Schwierigkeiten haben, die schulischen Anforderungen zu erfüllen. Dann macht es mehr Sinn, zuerst den Kindern dabei zu helfen, ihre Bewegungsmuster zu kontrollieren und dann erst an den Lernherausforderungen zu arbeiten.
Der richtige Zeitpunkt für Unterstützung
Wenn Eltern frühzeitig bemerken, dass der übliche schulische Weg für ihr Kind nicht funktioniert, können sie viel Leid und Frustration verhindern. Anstatt das Kind weiter durch Nachhilfe und Übung zu belasten, die zu keiner Besserung führen, sollte die Suche nach alternativen Lernwegen in den Fokus rücken. Lerntherapeut:innen, die ganzheitlich arbeiten, berücksichtigen nicht nur die Lernschwächen des Kindes, sondern auch seine emotionalen und physischen Bedürfnisse.
Die Balance zu finden, zwischen der Entlastung durch eine Diagnose und der Gefahr, das Kind durch ständige Förderung in ein Gefühl der Unzulänglichkeit zu treiben, ist eine Herausforderung. Eltern spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie können ihrem Kind den Weg ebnen, indem sie ihm zeigen, dass es viele Wege gibt, zu lernen und erfolgreich zu sein – und dass der schulische Weg nur einer davon ist.
Fazit: Vielfalt im Lernen anerkennen und fördern
Diagnosen wie Dyskalkulie, Legasthenie oder ADHS können Klarheit schaffen und den Weg zu hilfreicher Unterstützung ebnen. Doch sie dürfen nicht dazu führen, dass ein Kind nur noch durch die Brille seiner Defizite gesehen wird. Jedes Kind lernt anders und hat das Recht, in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen zu werden. Eltern sollten wachsam sein, wenn sie merken, dass der schulische Weg für ihr Kind nicht funktioniert. Die rechtzeitige Suche nach pädagogischer Begleitung, die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, kann oft der Schlüssel sein, um dem Kind einen individuell passenden Lernweg zu eröffnen. Denn am Ende zählt nicht, wie viel das Kind übt, sondern dass es einen Weg findet, der zu ihm passt und ihm das Gefühl gibt, dass es gut genug ist – so wie es ist.
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